klausmoeller

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PROJEKTE

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Dr. Irene Below
November 1996

Einführung zu
Gestrichen - Autonomie der Kunst/Kritik
Für Klaus Möller Zur Ausstellung "Gestrichen" am 15.11.96 im Café Parlando Bielefeld

Lieber Klaus, als Du mich gefragt hast, ob ich die Einführung zu Deiner Ausstellung "Gestrichen" machen wolle, habe ich spontan zugesagt: Zum einen, weil ich Dich und Deine künstlerische Arbeit seit über 5 Jahren kenne und vor allem seit unser Zusammenarbeit bei meinem großen Bauhaus- Ausstellungs-Projekt sehr schätze. Deshalb hatte ich Lust, mich mit Deiner neuen Arbeit eingehender zu beschäftigen. Zum anderen, weil Du mich mit deiner Frage daran erinnert hast, daß ich nicht ganz unschuldig an dieser Arbeit bin - denn das Buch, in dem Du hier gestrichen hast, stammt aus der Lernmittelsammlung des Oberstufen-Kollegs - dem in den 70er Jahren von Hartmut von Hentig initiierten College, das die Schuloberstufe mit dem Grundstudium verbindet, und an dem Du als Kollegiat und dann als Hilfskraft temporär tätig warst und ich seit langem arbeite.

Das Buch wurde vor ca. 3 Jahren ausgemustert, weil es nicht mehr aktuell erschien. Du hattest mir gerade von Deinen ersten Buchstreichungen erzählt. Ich weiß nicht, ob Du mir auch erzählt hattest, daß es sich um zwei Texte des KP-Abweichlers August Thalheimer vom Ende der 20er Jahre gehandelt hatte, die unter dem beziehungsreichen Titel "Über die Kunst der Revolution und die Revolution der Kunst" zu Beginn der 70er Jahre neu herausgegeben worden waren. Jedenfalls gab ich Dir ein Exemplar des Buches zum möglichen Streichen.

Das hast Du nun getan, das Ergebnis ist hier zu sehen: Folien mit vergrößert kopierten einzelnen Buchseiten - Text und Streichungen in Blau. Die Folien hängen vor der Wand und können sich leicht bewegen; sie sind nur oben an Nylonschnüren, die durch Ösen geführt sind, aufgehängt. Die Folien reflektieren das Licht und wirken filigran und schwerelos. Von dem fortlaufenden Text sind nur noch einzelne Worte zu lesen. Die anderen sind durchgestrichen. Die Lektüre erfordert eine konzentrierte Betrachtung aus nächster Nähe. Zu der Arbeit hast Du einen Text verfaßt, in dem Du Dein Vorgehen und Deine Überlegungen beschreibst. Darin heißt es: "Fragen aufwerfen und Alternativen aufzeigen ist die Aufgabe von Kunst." Drei Fragen finde ich an der Arbeit hier besonders spannend:

1. Die Frage nach der Autorschaft 2. Die Frage nach dem Verhältnis zur Geschichte, insbesondere nach der eigenen politisch-künstlerischen Position im Verhältnis zu Positionen der 68er 3. Die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Text

1. Die Frage nach der Autorschaft

Auf den hier gezeigten Buchseiten dominieren die Streichungen, die auf jeder Seite nur wenige Wörter oder Textteile verschonen. Sie treten als blau eingefärbte Balken in Erscheinung, allerdings deutlich unterschieden von Eingriffen der Zensur, die Textpassagen in Zeitungen oder Büchern durch Überdrucken unkenntlich macht. Die Streichungen bleiben bei Klaus Möller vielmehr als Spuren eines Individuums erkennbar: man sieht, daß die Worte und Sätze Zeile für Zeile von Hand mit einem dünnen Stift, einem Kugelschreiber, durchgestrichen sind. Dabei wird nicht auf besondere Exaktheit, Regelmäßigkeit oder Vollständigkeit geachtet. Vielmehr geht es offenbar nur darum, den Ursprungstext an den gestrichenen Stellen unlesbar zu machen. Diese Absicht ist erreicht, auch wenn manchmal noch einzelne Buchstaben zu entziffern sind. Der Prozeß des Streichens als Handarbeit eines Einzelnen bleibt dabei präsent. Deutlich wird dadurch auch, daß die Restwörter nicht zufällig, sondern absichtsvoll stehen geblieben sind. Der Streichende wird so zum Autor eines neuen Textes. Er markiert diese Position durch Datierungen unter größeren, offenbar in einem Zug bearbeiteten Textstücken. Aus ihnen geht hervor, daß die Buchbearbeitung im September 1995 begonnen wurde, die letzten Streichungen stammen vom August 1996. Die einzigen dem gedruckten Text handschriftlich hinzugefügten Worte markieren diese neue Autorschaft mit "Bielefeld, im Oktober 1995 Der Autor". Allerdings markieren sie nicht das Ende der Arbeit, wie dies bei einer Datumsangabe zum Beispiel unter einem Vorwort die Regel ist. Das schafft für die Betrachterin und den Betrachter eine von mehreren Irritationen im Hinblick auf die Frage nach der Autorschaft. Zwar ist nicht mehr zu erkennen, daß es sich dabei um eine Bearbeitung des alten Vorworts handelt, das mit "Frankfurt a.M./Marburg im Mai 1972 Die Autoren" endete. Wenn man es weiß, versteht man zwar, warum der Autor sich nicht am Anfang oder am Ende seiner Arbeit nennt, aber zugleich gerät man nun entgültig ins Zweifeln: wenn der neue Autor hier dem Sprachduktus seiner Vorgänger getreu folgt, heißt das nicht, daß er gar nicht Autor ist?

Eine Irritation, die bei näherer Betrachtung in ähnlicher Weise zu immer neuen Fragen führt, ergibt sich, wenn man überlegt, ob die Autorschaft für den neuen Text reklamiert wird, der aus den übriggebliebenen Textfragmenten einer Seite entsteht. Soll die BetrachterIn also bei jeder Seite prüfen, ob der neue Text auf der Seite einen Sinn macht, eine neue Botschaft über künstlerische Tätigkeit zu vermittelt? Erstaunt wird man dabei feststellen, daß man in der Lage ist, einen Zusammenhang herzustellen. Für eine Freundin von Klaus Möller spiegelten die lesbaren Texte sogar konkrete Lebenssituationen von Klaus Möller zum Zeitpunkt der Arbeit an den jeweiligen Seiten wider. Aber bedeutet das nicht, daß die jeweilige Betrachterin/der Betrachter der eigentliche Autor ist? Sind wir die AutorInnen, wenn wir einen Sinnzusammenhang erkennen?

Oder ist es völlig verfehlt anhand der Textfragmente nach der Autorschaft zu fragen. Bezieht sie sich nicht eher auf die Idee des Streichens insgesamt und auf die bildhafte Wirkung der einzelnen Seiten, die sich aus dem Satzspiegel und aus den Mustern von horizontalen Streichungen und Buchstabenfeldern ergibt? Und dann gerät man schnell an ganz grundsätzliche Fragen, die heute auch anderenorts Thema künstlerischer Arbeit sind (Found-Footage-Festival im Lichtwerk letztes Wochenende). Aber wird man schon dadurch zum Autor, daß man bisheriges Material bearbeitet, "recycelt"? Gibt es heute überhaupt andere Formen von Autorschaft als Recyceln? - Gibt es schöpferische Tätigkeit unabhängig von Vorgaben? All diese Fragen können wohl deutlich machen, daß durch die Arbeit herkömmliche Sicherheiten in Frage gestellt werden - Vorstellungen über schöpferische Tätigkeit und Originalität, über die Aufgaben des Autors/Künstlers, über das Verhältnis von Produzent, Produkt und BetrachterIn, auch zum Verhältnis von Original und Reproduktion usw.

2. Die Frage nach dem Verhältnis zur Geschichte, insbesondere nach der eigenen politisch-künstlerischen Position im Verhältnis zu Positionen der 68er

Wie wichtig ist eigentlich der bearbeitete Text und was wird mit ihm gemacht? In seinen Erläuterungen zur Ausstellung hat Klaus Möller darauf hingewiesen, daß die Auswahl des Buches und der Inhalt des Textes für ihn wichtig ist, denn: "Die Frage nach dem Inhalt des Textes wird selbst zum Gegenstand der Arbeit". Dann stellt er einige Fragen, z.B. : Was interessiert mich an diesem Text? Stört mich etwas an diesem Text? Was wird durch die Zerstörung sichtbar?

Er setzt sich mit der Funktion von Büchern in der Mediengesellschaft auseinander und damit, was er von in diesem heute eher altmodischen Medium verfaßten Texten profitieren kann und wo er sich abgrenzen muß/möchte. Interessant finde ich die Auswahl - in diesem Fall ein ausgemustertes Buch aus einer belehrenden Institution, dem Oberstufen-Kolleg, das selbst ein Produkt der Reformbewegung nach 1968 ist.

Das 1972 im Suhrkamp-Verlag erschiene Buch "Autonomie der Kunst - Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie" markiert den Versuch einer Revision bürgerlicher Kunstauffassungen durch die Generation der Studentenbewegung. Es geht darin um die Entstehung und Funktion der für die Kunst in der kapitalistischen Warengesellschaft zentralen Vorstellung von der "autonomen", d.h. von gesellschaftlichen Zusammenhängen befreiten Kunst. Das Buch, das Klaus Möller seit Herbst 1995 bearbeitet, ist also ein Produkt der 68er Bewegung, die auch den oppositionellen Kunst- und Literaturtheoretiker Thalheimer wieder entdeckt hatte.

Als ich jetzt für diese Einführung noch mal genau nachschaute, wurde ich mit der eigenen Geschichte stärker konfrontiert, als mir zunächst lieb war. Mit dieser Publikation in der "edition suhrkamp" haben die gegen die bürgerliche Kunstgeschichte rebellierenden StudentInnen, zu denen ich damals auch gehörte, die breiteste und anspruchsvollste intellektuelle Öffentlichkeit gefunden, die sie jemals hatten.

In dem Band sind Referate veröffentlicht, die 1972 auf einer Sektion des Gegenkongresses gegen den offiziellen Kunsthistorikerkongreß in Konstanz gehalten wurden. Dieser Gegenkongreß lief - am selben Ort wie der professorale Kongreß - die ganze Zeit parallel und hatte gerade auch wegen der theoriehaltigen "Autonomie-Sektion" ein großes Echo. Selbst dem Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde deutlich, wie abgehalftert die bisherige Disziplin Kunstgeschichte war.

Gleichzeitig wurde schon damals die elitäre Sprache gerade dieser Sektion kritisiert. Ein Journalist der Frankfurter Rundschau vermutete, daß die jungen Wissenschaftler ihre schlauen häufig unverständlichen Worte auch als "Plattform für die eigene Karriere" benutzten und fuhr fort: "Hinter den Sprachmasken eines elitären Jargons verschanzte man sich vor dem zu Recht düpierten Publikum, das zur Passivität verurteilt wurde. Statt die eingleisige Kommunikationsform der Frontalvorlesung durch kollektive Vermittlungsformen abzulösen, reproduzierte man das Ritual eines buchreif formulierten Vortrags, der über die Köpfe der Anwesenden hinwegrauschte. Zu allem Überfluß versicherte man den Kritikern, sie könnten das ja alles in etwa zwei Monaten als Buch nachlesen."(Vgl. H. Hammer-Schenk, D.Waskönig, G.Weiss (Hg.), Kunstgeschichte gegen den Strich gebürstet? 10 Jahre Ulmer Verein. 1968-1978. Geschichte in Dokumenten, Hannover 1979, S.105). Die Kunsthistoriker, die in dieser Sektion vorgetragen bzw. geschrieben haben, sind heute alle Professoren.

Klaus Möller setzt sich - ohne diesen Hintergrund zu kennen - durch seine Streichungen nicht nur mit dem elitären Sprachgebahren, sondern mit einer Theorieproduktion auseinander, die marxistische Ansätze in eine partiell praxis- und adressatenfeindliche Wissenschaftlichkeit transformiert und damit schon in ihrer Entstehungszeit Fragen nach der Glaubwürdigkeit dieser Positionen herausgefordert hatte. Die Streichungen zeigen aber auch: Grundfragen, die im Text inkorporiert sind, bleiben oder stellen sich gerade dann erneut, wenn Unverständliches, Unwichtiges oder Störendes gelöscht wird - so etwa Fragen nach dem Verhältnis von Handarbeit und Kopfarbeit und nach der Besonderheit künstlerischer Arbeit. Im Streichen ist eine Möglichkeit gefunden, den aktuellen Kunstbetrieb sowie die eigene künstlerische und private Existenz vor dem Hintergrund bisheriger Theorieproduktion kritisch zu durchleuchten.

3. Die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Text

Die entscheidendste Kritik von Klaus Möller an der Position der 68er bezieht sich auf den Glauben an die Macht des geschriebenen Wortes. Das Ausstreichen selbst ist eine Antwort auf das Dominanzgebahren der elitären Versprachlichung. Aus einem einschüchternden Lesetext sind Bilder geworden.

Aleida Assmann hat sich mit den Merkmalen, durch die sich Schrift und Bild voneinander unterscheiden, beschäftigt: es geht um den Unterschied zwischen Lesbarkeit und Erkennbarkeit - für den Umgang mit Schrift müsse man doppelte Kompetenz haben - Zeichenkompetenz und Sprachkompetenz, beides müsse erlernt werden, "die Erkennbarkeit von Bildern beruht dagegen auf einem grundsätzlich offenen Repräsentationssystem, dessen Zeichenvorrat unerschöpflich erweiterungsfähig ist." (Aleida Assmann, Die Ent-Ikonisierung und Re-Ikonisierung der Schrift, in: Kunstforum International 127, 1994, 135 - 139) Zudem seien Bilder sprachunabhängig zu erkennen. Auch wer nicht deutsch kann, wird bei den Bildern von Klaus Möller erkennen, worum es sich handelt.

Gleichwohl ist die Arbeit "Gestrichen" zwischen Schrift (Lesbarkeit) und Bild (Erkennbarkeit) angesiedelt. Das eine ist hier ohne das andere nicht zu haben. Dies führt zu einer ähnlichen Irritation wie die Frage nach der Autorschaft. Bild und Text sind zwar heuristisch leicht zu trennen, doch jeder Text ist zugleich als Bild wahrnehmbar und jedes Bild basiert auf einem Corpus von gesprochenen und geschriebenen Texten, durch die es historisch und kulturell verankert ist. An die Stelle vermeintlich klarer Entweder-Oder-Entscheidungen tritt auch hier ein Angebot an die Betrachterin und den Betrachter, sich die Eigenarten und Wirkungen von Bild und Text klarzumachen. Sie haben die Chance, die Notwendigkeit aber auch Fragwürdigkeit fester Kategorien und Zuschreibungen durch eigenes Fragen und Hinsehen konkret zu verfolgen.

Danke fürs Zuhören oder Lesen.

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